Willensfreiheit und Gehirnphysiologie

|   Physik, Chemie, Gäste

Carolin Schürer, Tiffany Huber, Siegward M. Elsas & Matthias Rang

Die neurophysiologische Forschung ist heute vermehrt auf der Suche nach einerempirischen Vermittlung zwischen bewusster Innenwahrnehmung und physiologischer Messung. Motiviert durch ihr Anliegen, den menschlichen Willen in die wissenschaftliche Diskussion einzuführen bzw. die Willensfreiheit empirisch zu hinterfragen, initiierten bereits Kornhuber und Deecke (1965) und etwas später Libet (1983) die Debatte um das sog. Bereitschaftspotential. Libet lieferte experimentelle Fakten, die – entgegen seiner eigenen Überzeugung – als Argumente gegen die Willensfreiheit eingesetzt werden konnten, was seither eine Herausforderung für deren Anerkennung darstellt.

Das Anliegen des Projekts ist es, die gegen die Möglichkeit des freien Willens sprechende Interpretation von Libets Ergebnissen empirisch in Frage zu stellen. Dass die Frage nach der Willensfreiheit in diesem Versuchsaufbau, in dem kein erkannter Grund zu einer Handlung führt, sondern gewartet wird, bis sich ein «Antrieb» im Bewusstsein geltend macht, nicht sinnvoll behandelt werden kann, ist zwar mittlerweile grösstenteils anerkannt worden. Zum Inhalt des mentalen Korrelats des Bereitschaftspotentials (der innerlich erlebten Zustände, welche sich im Verlauf der Entwicklung des Potentials abspielen) gibt es jedoch nach wie vor keine zuverlässige, veröffentlichte Untersuchung und keine schlüssige Alternative. Gemäss Goethes Forschungsansatz wollen wir die Spezialisierung des Libetschen Experiments durch vielfältige Variation der Versuchsbedingungen ausgleichen und einen umfassenderen Zugang zum Phänomen ermöglichen.

Das Ziel des Projektes ist primär die empirische Präzisierung des mentalen Korrelats zum Bereitschaftspotential und sekundär eine Klärung des Zusammenhangs mit der Willensfreiheit. Dabei sind wir auf das EEG und die von Probanden angegebenen Entscheidungsmomente angewiesen. Leitend bei der Interpretation der Daten sind die Versuchsanweisungen an die Probanden. Es soll ein möglichst breites Spektrum von Bewegungsentscheidungen bei verschiedenen Bewusstseinsgraden abgedeckt werden. Die Hypothese ist, dass das mentale Korrelat des Bereitschaftspotentials aus unterschiedlichen Komponenten besteht, die mit verschiedenen neurophysiologischen Abdrücken verbunden sind.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse soll eine Brücke für ein weiteres Projekt in derZukunft darstellen. Zu diesem Zweck sind im Herbst 2020 zwei neue Mitarbeiterinnen, Tiffany Huber (Neurowissenschaften) und Carolin Schürer (Physik) dazugekommen. Mit ihrer Hilfe wurde der für die Publikation notwendige Antrag an die Ethikkommission eingereicht, das Projekt wurde durch diese genehmigt und die statistische Analyse konnte begonnen werden.

Im Sinne der Philosophie der Freiheit, und ihrem Untertitel Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode, wollen wir mit unserer Forschung einen Beitrag zur Begriffsbildung im wissenschaftlichen Neuland der bewussten Innenbeobachtung leisten.

 

Bereitschaftspotential (oben) und EMG-Signal (unten) für eine tatsächlich ausgeführte Bewegung (schwarz) und eine nur vorgestellte Bewegung ohne Ausführung (grau).
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