Ein Experiment zur Wärmestrahlung der Erde

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Matthias Rang

Bericht über den Wetterballonstart am 29. April 2022

Im Rahmen der «Arbeitstage für Physiker und Physiklehrer» wurde vor dem Haupteingang des Goetheanums ein Wetterballon mit einem Messaufbau zur Wärmestrahlung der Erde aufsteigen gelassen. Wir berichten hier über den Flug und einen ersten Blick auf die gemessenen Daten.

Das Wärmegleichgewicht der Erde im Kosmos
Vom Gesichtspunkt der physikalischen Optik ist der Blick auf den Wärmehaushalt der Erde überraschend überschaubar: die Erde ist von Vakuum umgeben und der gesamte Wärmeaustausch mit dem Kosmos findet durch Wärmestrahlung statt. Auch befindet sich die Erde im thermodynamischen Gleichgewicht mit dem Kosmos: was der Erde durch die Sonne an Licht und Wärmeenergie fortwährend zukommt, wird von der Erde in Form von Licht und Wärmestrahlung fortwährend wieder abgegeben. Wie sich daraus letztlich die Oberflächentemperatur der Erde ergibt, ist indessen keineswegs leicht überschaubar, sondern hängt in vielfältiger Form von unserer Atmosphäre, dem Bewuchs der Erde, den Meeren und vielen weiteren Faktoren ab, die auch dem natürlichen und anthropogenen Treibhauseffekt zugrunde liegen. Doch auch der Blick auf die Atmosphäre lohnt sich vom Gesichtspunkt der physikalischen Optik. Denn all die vielfältigen Prozesse in dieser müssen sich letztlich in Transparenz, Streuung und Absorption der Atmosphäre für die von der Erdoberfläche abgegebene Wärmestrahlung niederschlagen. Wird die Atmosphäre undurchsichtiger, nimmt also Streuung und Absorption in dieser zu, so erwärmt sich die Erdoberfläche bis auf eine Temperatur, die es der Erde gestattet im Wärmegleichgewicht mit dem Kosmos zu bleiben.

Der Wetterballon, die Messsonde und das geplante Experiment
Ziel des Wetterballons war es, dieses Wärmegleichgewicht der Erde mit dem Kosmos zu messen. Dazu trug der Wetterballon eine Messsonde in die Stratosphäre, in der neben Beschreibungsgrössen der Lufthülle (Luftdruck, Lufttemperatur und relative Luftfeuchtigkeit) auch die Wärmestrahlung der Erde in den Kosmos, sowie die von der Atmosphäre durch Streuung, Absorption und Re-Emission auf die Erde zurückgestreute Wärmestrahlung gemessen werden sollte. Zu diesem Zweck hatte die Sonde zwei Sensoren für Wärmestrahlung: Einer war nach unten auf die Erdoberfläche ausgerichtet und registrierte die Wärmestrahlung, die von der Erdoberfläche ausging, durch die unter der Sonde befindliche Luftmasse hindurch. Der andere Sensor war nach oben ausgerichtet und registrierte die Wärmestrahlung, die von der über der Messsonde befindlichen Luftmasse durch Streuung, Reflexion und Emission ausging. Die Messwerte wurden durch einen selbstgebauten und einen gekauften Datenlogger aufgenommen. Zusätzlich war ein GPS-Tracker mit an Bord, um die Messsonde und die Messwerte nach dem Flug wieder bergen zu können.

Der Start
Um die Wärmestrahlung der Erde und ihre Reflexion an der Atmosphäre ohne Wärmeeinflüsse der Sonne messen zu können, erfolgte der Start am Abend um 18:09 Uhr MESZ. Die für den Ballonflug verwendete Menge an Helium war so berechnet, dass der Ballon mit einer Steiggeschwindigkeit von 5 m/s in etwa 120 Minuten auf eine Höhe von 36͛ 000 Metern aufsteigen sollte und in dieser Höheʹ oder wenige Minuten später in einer Höhe von 37͛ 000 Metern ʹ platzen würde. Für den Rückweg am Fallschirm wären nach Plan nur 45 Minuten notwendig gewesen, da der Ballon die ersten Kilometer aufgrund des geringen Luftdrucks in den höheren Atmosphärenschichten nahezu im freien Fall zubringt und erst in den tieferen Schichten am Fallschirm abgebremst wird. Nach spätestens 3 Stunden hätte der Ballon aber wieder in das Mobilfunknetz eintauchen sollen, so dass der mitgereiste GPS-Tracker wieder Positionsangaben senden könnte.

Die Suche
Doch es kam anders. Ein kleines Team von Tagungsteilnehmern und Mitarbeitern der Naturwissenschaftlichen Sektion hatte sich auf den Weg gemacht in die Zielregion, in der nach der Vorausberechnung der Wetterballon hätte landen sollen. Zur Sicherheit sind wir am letzten übermittelten Ort vorbeigefahren, am «Gempen», dem Hausberg Dornachs, unweit des Goetheanums, da der in der Sonde befindliche GPS-Tracker angab, dort seit mehr als 30 Minuten still zu stehen. Es war etwas eigentümlich, da an dem gesendeten Standort statt der Sonde ein noch rauchender Kohlenhaufen im Wald lag ʹ sicher, unser Ballon konnte das nicht sein, doch die Koinzidenz des Kohlenhaufens und der übermittelten GPS-Position, blieb merkwürdig. In der Zielregion (dem Bezirk Lenzburg) haben wir dann vergeblich gewartet. Auch Stunden nach der berechneten Landezeit haben wir von dem Ballon nichts mehr gehört. Wir mussten davon ausgehen, dass der Wetterballon verloren gegangen war. Erst in den frühen Morgenstunden des Folgetages erhielten wir dann wieder eine Nachricht des GPS-Trackers, nach der unser Ballon seit dem Vorabend immer noch am «Gempen», in der unmittelbaren Nähe des Goetheanums, sein sollte. Während wir uns darauf vorbereiteten, dort noch einmal gründlicher zu suchen, kam dann eine neue Meldung, nach der unser Ballon auf der «Wolfetsmatt», einer Alp südlich des Vierwaldstättersees, direkt neben einer Alphütte auf knapp 1͛'500 Metern Höhe wäre. Wir waren skeptisch, lag doch diese Ortsangabe nicht in Windrichtung. Nicht ohne Fragen haben wir uns dennoch auf den Weg gemacht. Oben in den Bergen und kurz vor der Wolfetsmatt, sahen wir dann trotz hochstehender Sonne einen schönen doppelten Regenbogen, das fühlte sich doch schon mal besser an, als der Kohlenhaufen am Vorabend! Tatsächlich haben wir die Sonde mit Fallschirm und dem geplatzten Ballon an der Alphütte vorgefunden. Der Landwirt der Wolfetsmatt hatte diesen offenbar in einem Trog, ungefähr um 10 Uhr gefunden und zur Hütte mitgenommen. Da wir erst ab dem Mittag eine reale Positionsmeldung unseres Trackers erhielten, war das Auflesen der Sonde aus dem Trog wohl entscheidend dafür, dass der GPS-Tracker in ein funktionierendes Mobilfunknetz zurückgekommen ist. Es blieb jedoch die Frage offen, wann und wie der Ballon dorthin gefunden hat!

Die Geschichte unseres Wetterballons
Zurück am Goetheanum gab hierüber der Datenlogger Auskunft, der alle 2 Sekunden neben den Messdaten der Atmosphäre auch die GPS-Position und Höhe des Wetterballons speicherte: der Ballon war plangemäss mit knapp 5 m/s gestiegen und nach Osten versetzt worden. Aus uns nicht bekannten Gründen hat er bei 35͛ 944 Metern über dem Meeresspiegel abrupt den Aufstieg beendet und ist dann auf dieser Höhe für viele Stunden mit den Höhenwinden der Stratosphäre nach Süden vertrieben worden. Wie dies möglich ist, bleibt ein Rätsel. Auf dieser Höhe ist aufgrund des geringen Luftdrucks von nur rund 5 hPa der Ballon auf einen Durchmesser von ca. 12 Metern aufgeblasen. Während der Balloninnendruck in geringen Höhen wegen der eher schlaffen Ballonhaut dem Atmosphärendruck entspricht, also kaum Druckunterschied zwischen Innen- und Aussendruck herrscht, steht auf knapp 36 Kilometern das Balloninnere unter einem höheren Druck zur dünnen Aussenatmosphäre, da die Ballonhaut jetzt bis kurz vor dem Zerreissen gespannt ist. Es wäre denkbar, dass wir den Ballon nicht ausreichend dicht verschlossen haben und er gerade auf dieser Höhe etwas Druck abgelassen hat, aber nur soviel, dass er die Höhe gerade hielt. Trajektorie des WetterballonsNach rund 5,5 Stunden in dieser Höhe bei -50 °C (und darunter) war auch das Innere der Styroporsonde auf -50 °C abgekühlt. Trotz der speziellen tieftemperaturtauglichen Lithiumbatterien waren die Versorgungsspannung von 9V auf unter 5V abgesunken, wie der Logger aufzeichnete. Zunächst lieferten einige Sensoren keine konsistenten Messwerte mehr, dann verabschiedete sich unser selbstgebauter Datenlogger zur Strahlungsmessung aus dem Betrieb, einige Zeit später der gekaufte Logger und schliesslich vermutlich alle Elektronik, einschliesslich des GPS-Trackers (zu unserem Glück hat dieser aber später den Betrieb wieder aufgenommen)! In der Stratosphäre wurde der Ballon zunächst nach Süden vertrieben, überquerte den Brienzersee bei Interlaken um 22:40 Uhr, wendete an der Nordflanke des Jungfraumassivs und wanderte über den Thunersee (01:40 Uhr) wieder nach Norden. Da um 02:04 Uhr der Ballon nach 194,6 km Flugstrecke noch nicht am Fundort angekommen war, muss er wohl noch mindestens 1 Stunde weitergereist sein, bevor er dann doch noch platzte und am Fallschirm auf der Wolfetsmatt landete. Die wesentlich längere Flugzeit von mindestens 9, eher 10 Stunden erklärt den unerwarteten Auffundort. Trotz der enormen Kälte haben wir einen vollständigen Datensatz aus der nächtlichen Stratosphäre bis 23:14 Uhr! Einen aussagekräftigen Teildatensatz haben wir bis 02.04 Uhr (einschliesslich der GPS-Position und der Höhe, die während der ganzen Zeit bei 35͛ 700 ±250 m blieb). Wäre der Flug planmässig verlaufen, dann hätten wir nur einen wesentlich kürzeren und weniger interessanteren Datensatz gemessen!

Dieser Bericht kann hier heruntergeladen werden.

Vorbereitungen zum Start (Foto Demian Ermel)
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