Aktuelle Forschungsprojekte

Steigbildmethode als Grundlagenforschung zum besseren Verständnis der pflanzlichen Arzneimittel

|   Heilpflanzen, Präparateforschung

Vesna Forštnerič Lesjak

Genau vor 100 Jahren, im Jahr 1923, ist Lili Kolisko (1889–1976) am Biologischen Institut am Goetheanum – mit Sitz in Stuttgart – an die von Rudolf Steiner gestellte Aufgabe «Studieren Sie Gestaltungskräfte bei den Pflanzen» mit der Steigbild-Forschung an Pflanzensäften herangegangen.[1]Ihre bisherige Arbeit, die Potenzforschung mit den Messungen von Pflanzenorganen bei der Keimung, hat sie auf den Grundlagen der Chromatographie in vielfältigen Versuchen mit verschiedenen Metallsalzen verbunden und als die sogenannte «Kapillar-Dynamolyse» neu entwickelt. Heute ist diese als «Steigbildmethode» bekannt und gehört zu den «Bildschaffenden Methoden» in der goetheanistischen Forschung. Lili Kolisko hat sich schon damals wichtige landwirtschaftliche, astronomische, medizinische und pharmazeutische Fragen gestellt. Nach diesem Impuls ist die Forschung in verschiedenen Richtungen vielversprechend weitergeführt worden, mit ForscherInnen wie Ehrenfried Pfeiffer, Agnes Fyfe, Magda Engquist, Maja Mewes und Rudolf Hauschka, bis zu heutigen AutorInnen wie Ruth Mandera[2], Hans-Joachim Strüh[3][4] und Beatrix Waldbürger[5], um nur einige zu erwähnen. Die Arbeit und die Methode selbst wurden an vielen Instituten (Forschungsinstitut am Goetheanum, Strömungsinstitut Herrischried), in Forschungsvereinen (Verein für Krebsforschung Hiscia mit Paul Doesburg und anderen), in Firmen (Wala & Dr. Hauschka) und bei vielen einzelnen ForscherInnen weiterentwickelt. Dadurch wurden auch die Erkenntnisgrenzen deutlicher, die die Methode im Bereich der «Qualität und Vitalität der Säfte» bietet, und sie konnten kritisch hinterfragt werden.[6]

Die Steigbilder sind weitgehend wiederholbar, gleichzeitig ist aber ihre Auswertung schwierig und bedarf einer gründlichen Schulung, um in den qualitativen Vergleich der Bilder in objektiver, aber trotzdem lebendiger Weise einzusteigen. Mithilfe bestimmter Auswertungskriterien und/oder schon begründeter Referenzreihen bzw. -typen kann man sich zwischen den Steigbildern weitgehend nachvollziehbar bewegen. Diese Auseinandersetzung mit den Steigbildern fördert beim Forscher einerseits die Intensivierung der Beziehung zur Natur, andererseits die Schulung des lebendigen, umwandlungsfähigen Denkens. Es beginnt schon mit dem Schmecken und dem Riechen der Auszüge, mit der Betrachtung ihrer Farbe, ihrer Beschaffenheit und anderer Eigenschaften. Die Steigbildmethode ist keine analytische Methode; sie zeigt nicht, welche Substanzen im Saft zu finden sind und in welcher Konzentration, sondern was mit den Substanzen im Verlauf, im Prozess passiert, ihre vielschichtigen Verwandlungen. So ist die Methode eigentlich nur als Begleitung eines Prozesses anwendbar, und daraus kann eine Sprache über die qualitative Änderung der Substanzen entfaltet werden.

Für mich als Pharmazeutin, die besonders an der Pflanzenwelt interessiert ist, waren die Steigbilder immer eine zusätzliche Bereicherung, um tiefere Einblicke in die Änderung der Pflanzenorgane im Jahreslauf zu gewinnen. Auch in den Organen, wie z.B. in einer mehrjährigen Knolle, die sich äusserlich in einem Jahr nicht so stark ändert, passierte im Jahreslauf in Verbindung mit den oberirdischen Organen viel; man konnte das an der Änderung der Farben und Formen, sowie an der ganzen Dynamik, Harmonie und Ästhetik des Bildes erkennen. Ich konnte mit ihrer Hilfe besser die Erntezeit bestimmen oder die Auswahl der Pflanzenorgane bei Neuentwicklungen begründen, dadurch dass die Steigbilder z.B. sichtbar gemacht haben, wie tief der Blühimpuls zur Zeit der Blüte in andere Pflanzenteile hineinragte.[7][8] Auch die Umwandlung der Säfte durch pharmazeutische Prozesse war zu verfolgen, was für die Heilmittel-Komposition von Bedeutung ist.

So beginnen wir im März 2024 in der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum – in Zukunft in Verbindung mit anderen Instituten und Forschern, eventuell auch Firmen – ein zunächst fünfjähriges Forschungsprojekt mit der Gattung Artemisia als Schwerpunkt. Anhand von sechs Heilpflanzen-Arten aus dieser Gattung werden wir Veränderungen vor allem im Blattbereich dieser Pflanzen in ihrer vegetativen und generativen Phase verfolgen. Es folgt ein Vergleich zwischen den Vertretern anderer bitterer Gattungen und Familien. Wir wollen auch dem Verständnis der Bitterstoffe und Gerbstoffe als «zu Ende gekommene Prozesse» näherkommen. Im Weiteren geht es um pharmazeutische Fragen, bei denen mit wässrigen pharmazeutischen Prozessen, wie der Vorbereitung von Mazeraten, Infusen, Digestifs, Dekokten usw., sowie mit verschiedenen Lösungsmitteln und ihrer Konzentration geforscht wird. Es stehen wichtige Fragen im Bereich der anthroposophischen Medizin und ihrer Arzneimittel vor uns, die gerade ihre Qualität in einem bestimmten Rahmen betreffen. Neben wichtigen analytischen Studien zur Wirksamkeit müssen auch für die Qualitätsmerkmale der anthroposophisch konzipierten Arzneimittel Grundlagen geschaffen und dokumentiert werden. Die Qualität gilt in den anthroposophischen Arzneimitteln als das wichtigste Prinzip, ist aber wenig erforscht. In dem Projekt werden einige Materialien erarbeitet, die erlauben, solche Qualitätsunterschiede vergleichend zu dokumentieren. Damit hoffen wir einen kleinen Beitrag für die Zukunft der anthroposophischen Medizin zu leisten.

 


[1] Kolisko E. und L.: Landwirtschaft der Zukunft. 2. Teil: Die Wirksamkeit kleinster Entitäten in der Landwirtschaft. Kap. XVIII. Die Kapilar-Dynamolyse; deutsche Übersetzung 1953.

[2] Mandera R.: Zur Metamorphose von Pflanzenorganen, Substanzqualitäten und Bildtypen im Steigbild. Tycho de Brahe – Jahrbuch für Goetheanismus. Verlag am Goetheanum, Schweiz; 1995: S. 298–310.

[3] Strüh H.-J.: Zu den stofflichen Verhältnissen und zur zeitlichen Entwicklung von pharmazeutischen Prozessen. Tycho de Brahe – Jahrbuch für Goetheanismus. Verlag am Goetheanum, Schweiz; 1995: S. 260–284.

[4] Strüh H.-J.: Grundlegende Phänomene bei der Ausbildung der Steigbildformen. Bildtypen und pharmazeutische Prozesse. Elemente der Naturwissenschaft. Verlag am Goetheanum, Schweiz; 1987: S. 22–35.

[5] Waldburger B.: Faszination Steigbilder. Info3 Verlag, Frankfurt am Main; 2023.

[6] Strüh H.-J.: Die Steigbildmethode – ein kritischer und weiterführender Überblick. Tycho de Brahe – Jahrbuch für Goetheanismus. Verlag am Goetheanum, Schweiz; 2023: S. 117–153.

[7] Forštnerič V., Rispens J. A.: Begleitung dreier Zyklamenarten im Jahreslauf mit der Steigbildmethode. Der Merkurstab; 2014: 67(6): S. 466–472.

[8] Forštnerič V., Šenekar P.: Wilde Karde und Borreliose – ein Brückenschlag. Ein goetheanistisch-anthroposophischer Erkenntnisweg zur Entwicklung neuer Heilmittel. Verlag Sapientia; 2024.

 

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